Zur Verleihung der International eBook Awards 2001
Eine im Frühjahr 2000 gegründete internationale Stiftung, die im wesentlichen von der Firma Microsoft finanziert wird, hat auf der Frankfurter Buchmesse dieses Jahres zum zweiten Mal Preise für die besten eBooks vergeben. eBooks, also elektronische Bücher, können mittels einer speziellen Software auf vorhandenen PCs gelesen werden oder werden als Komplettlösung in Form buchgroßer Lesegeräte angeboten, die beliebig mit Buchdaten aufgeladen werden können.
Wer liest eBooks und warum? Für Alberto Vitale, den früheren Geschäftsführer des Verlages Random House und Präsident der preisverleihenden Stiftung, ist das keine Frage, er prophezeit den eBooks eine vielversprechende Zukunft und spricht von der baldigen Umwälzung der gesamten Buchindustrie. Berichte über die äußerst spärliche Nutzung des durchaus reichhaltigen Angebots an eBooks bei den großen Internet-Versandbuchhandlungen zeigen allerdings: Kaum ein Mensch liest ein traditionelles Buch am Bildschirm. Warum auch? Ein gedrucktes Buch ist nutzerfreundlich organisiert, jederzeit verfügbar, flexibel in der Handhabung (man kann es beispielsweise verleihen) und höchst ergonomisch durch sein kontrastreiches Schriftbild und die exzellente Auflösung von Schrift und Illustration. Im Eins-zu-Eins-Vergleich ist hier ein eBook hoffnungslos unterlegen. Psychologische Forschungen haben zudem ergeben, daß die Lektüre am Bildschirm ungenauer, weniger ausdauernd und weniger nachhaltig ist als die Lektüre von gedruckten Zeitschriften und Büchern.
Der in Frankfurt vergebene International eBook Award berücksichtigt ausschließlich Einreichungen von Verlagen. Fast alle der mehr als 300 eBooks, mit denen die Juroren konfrontiert wurden, waren Bücher, die auch auf Papier angeboten werden und denen in ihrer elektronischen Fassung keine zusätzlichen Bequemlichkeiten mitgegeben wurden. Die Bewertungskriterien für die Preisvergabe konnten daher keine anderen sein als bei anderen Literaturpreisen auch: Ausgezeichnet wurden die besten Werke aus den Gebieten der fiktionalen und der nicht-fiktionalen Literatur. Die Preissummen waren erheblich: ausgeworfen wurden in jeder Kategorie 50.000 Dollar als Hauptpreis und 10.000 Dollar als weiterer Preis.
Die Preise gingen an durchaus namhafte Autoren. Den großen Preis für fiktionale Literatur erhielt der in Amerika lebende Inder Amitav Ghosh für seinen einfühlsamen und in keiner Weise folkloristischen Roman The Glass Palace. Es ist ein Buch von der Art, das man zum Lesen überall bei sich haben möchte, auf der Reise in der Bahn, zuhause im Bett. Eben das erlaubt die Computertechnik jedoch nur begrenzt. Ein weiterer Preis ging an Joyce Carol Oates für ihre Erzählungssammlung Faithless.
Der große Preis für ein Sachbuch ging an den in der amerikanischen Internetszene bekannten Wissenschaftsjournalisten Steven Levy, der in seinem Buch Crypto die Geschichte der Verschlüsselungstechnik der letzten dreißig Jahre erzählt – glänzend recherchiert und, wie es in Amerika erfreulicherweise immer noch häufig vorkommt, farbig und verständlich geschrieben. Dieses eBook erschließt seinen Lesern durch verschiedene Suchmöglichkeiten und seinen Index gewisse Vorteile gegenüber der Druckfassung. Ein weiterer Sachbuchpreis ging an ein höchst interessantes und liebenswertes Werk, The Making of Kind of Blue von Eric Nisenson. Die Beschreibung der Aufnahmesitzung der Jazzplatte Kind of Blue, an der 1959 Miles Davis, John Coltrane und andere bekannte Musiker beteiligt waren, ist der Mittelpunkt einer Erzählspirale, die allmählich zu einem Panorama der Jazzmusik der fünfziger Jahre aufgefaltet wird.
Wohl, um doch Signale in die Richtung zu setzen, in die die Entwicklung von erfolgreichen, das heißt auch publikumswirksamen eBooks gehen soll, erfand die Jury zwei vorher nicht angekündigte Preise, nämlich für Werke, die nur in ihrer elektronischen Gestalt lebensfähig sind, weil sie eine Navigationsstruktur anbieten, wie sie vom Internet oder von der CDROM her bekannt ist. Die Preise erhielten François Taillandier für seine mit Hypertext-Sprungmarken ahgereicherte Erzähluugssammlung Intrigues und ein interaktiver Picture Guide of New York.
Wohin geht die Entwicklung der elektronischen Bücher? Die von Microsoft finanzierte International eBook Foundation vergibt im April 2002 auf der Kinderbuchmesse in Bologna einen Kinderbuchpreis. Kinderbücher, Lehr- und Lernbücher eignen sich aufgrund ihrer Einbettung in interaktive soziale Prozesse idealtypisch für eine Verwendung in elektronischer Form. Vielleicht kommen aus dieser Richtung Anstöße, die auch auf anderen Gebieten die Erzeugung echter eBooks fördern, also von Originalprodukten, die von vornherein kompromißlos die Möglichkeiten ihrer elektronischen Umgebung nutzen. Mit einer Verdrängung der Buchform des Romans oder des traditionellen, linear gedachten und geschriebenen Sachbuchs durch das eBook ist jedoch auch auf längere Sicht nicht zu rechnen.