Das soeben novellierte WDR-Gesetz enthält eine Bestimmung zur Reduzierung der Werbezeit – im Hörfunk: „Ab dem 1.1.2017 ist im Hörfunk des WDR Werbung im Umfang von insgesamt bis zu 75 Minuten werktäglich im Jahresdurchschnitt zulässig; Werbung darf in bis zu zwei Hörfunkprogrammen platziert werden. Ab dem 1.1.2019 ist im Hörfunk des WDR Werbung im Umfang von insgesamt bis zu 60 Minuten werktäglich im Monatsdurchschnitt zulässig; Werbung darf nur in einem Hörfunkprogramm platziert werden.“ Alle Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtags treten für eine Reduzierung oder Einstellung der Werbung in öffentlich-rechtlichen Programm ein; insofern war die Entscheidung keine Überraschung.
In der Sitzung des WDR-Rundfunkrats am 11.02.2016 sprachen Mitglieder des Personalrats und des Aufsichtsrats der WDR-Mediagroup von einem „Abbaudrama“ und einem Einstieg in das Ende der kommerziellen Tochtergesellschaft (die allerdings noch viele andere Aufgaben neben der Bewirtschaftung der Werbeeinnahmen wahrnimmt). Wenn es um Arbeitsplätze und Funktionen geht, sind Bemühungen um ein stärkeres öffentlich-rechtliches Profil offenbar zweitrangig. Zwei Landtagsabgeordnete stellten die Regelung in den größeren Zusammenhang des dualen Systems. Ein Motiv des Beschlusses war die Stärkung des privaten Rundfunks, ferner die Erfüllung der Leitlinie des Kirchhoff-Gutachtens zum Rundfunkbeitrag. Es sei keine Entscheidung gegen den WDR. Dieser kann in der Tat eine annähernde Kompensation der Einnahmeausfälle durch erhöhte Beitragsmittel erwarten; eine Nachmeldung bei der KEF wird bald erfolgen.
Die WDR-Hörfunkdirektorin Valerie Weber gab einen interessanten, auch durch medienwissenschaftliche Forschungen gedeckten Punkt zu bedenken: Die privaten Hörfunkveranstalter haben im Grunde Angst vor der Werbereduzierung bei den Öffentlich-Rechtlichen, weil die statt eines Werbeblocks dann Musik senden und damit das attraktivere Programm machen. Werbung und Nachrichten liefern Umschaltimpulse (was Untersuchungen regelmäßig bestätigen). In dieser Sicht ergibt sich aus dem angestrebten Vorteil für die Privaten tatsächlich ein Nachteil. Weber beendete ihren Beitrag mit der grundsätzlichen Frage „Wie entwickelt sich die Gattung Radio weiter?“
Diese Frage wurde schon vor zwei Jahren in einer von der WDR Mediagroup beauftragten Untersuchung beantwortet: Wenn das Radio als Werbemedium betrachtet wird, könnten sich aus einer Werbereduzierung negative Effekte ergeben:
Eine Umsetzung des Modells „NDR 60-1“ in NRW würde allseits einen großen wirtschaftlichen Flurschaden anrichten.
Eine durchgehende Reduzierung der Werbezeit bei den WDR-Wellen auf 60 Minuten pro Tag in nur noch einem Programm würde nicht nur der werbungtreibenden Wirtschaft, sondern auch der Gattung Hörfunk insgesamt erheblich schaden.
Denn mit der Werbefläche verliert Hörfunk seine Kampagnenfähigkeit als abverkaufsstarkes Medium.
Konsumstarke Zielgruppen können nicht mehr tages- und stundengenau in erforderlicher hoher Frequenz erreicht werden.
Konkrete Anschauung für die Folgen liefert die aktuelle Situation in Nielsen I (NDR-Gebiet).
Hier gelingt es auch bei optimierter Mixplanung mit Privat- und öffentlich-rechtlichen Sendern nicht, die Mindest-Benchmark von 60 Prozent Nettoreichweite pro Woche zu erreichen.
Wichtige Zielgruppensegmente, wie junge und ältere kaufkräftige Hörer, können so gut wie gar nicht werblich angesprochen werden.
[aus der Untersuchung von Balieno Consulting, 2014]
Die in der Untersuchung erwähnten Faktoren – vor allem hinsichtlich von Effekten der „erforderlich hohen Frequenz“ der Zielgruppenkontakte – entbehren allerdings eines Nachweises und bleiben weitgehend Marketing-Floskeln.