Transparenz in deutschen Rundfunkräten

03.08.2016 | Ein gesteigertes Transparenzverlangen hat in den letzten Jahren auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erreicht. Der für eine Buchveröffentlichung geschriebene Beitrag argumentiert nach einem Blick auf die Organisationsgeschichte kritisch für eine Unterstützung des bestehenden Aufsichtssystems, in dessen Zentrum die Rundfunkräte stehen.

Das Gründungsjahrzehnt

Der deutsche Rundfunk ist ökonomisch und rechtlich eine Ausgründung der Deutschen Reichspost. Zwischen 1923 und 1924 entstehen neun regionale Programmgesellschaften in Form von Aktiengesellschaften, die als Konzessionäre der Post mittels technischer Anlagen der Post Unterhaltungsprogramme verbreiten. Den Regionalgesellschaften wird 1925 die Reichsrundfunkgesellschaft übergeordnet. Die Rechtsgrundlage für den Rundfunkbetrieb ist das großzügig ausgelegte Gesetz über das Telegraphenwesen aus dem Jahr 1892. Das Postministerium übt die Funkhoheit und technische Kontrolle aus und beherrscht durch Stimmrechtsmehrheit die Betriebsgesellschaften, obwohl diese im wesentlichen durch privates Kapital finanziert worden sind. Neben unterhaltenden Programminhalten und belehrenden Vorträgen sind auch Nachrichten möglich; diese müssen ausschließlich von der DRADAG (Drahtloser Dienst AG) bezogen werden, die vom Reichsinnenministerium beherrscht wird. Der 1926 installierte Reichsrundfunkkommissar – diese Position besetzt bis 1933 Hans von Bredow – vertritt die Interessen der Reichspost gegenüber den Rundfunkgesellschaften. Für jede Programmgesellschaft wird ein Überwachungsausschuss eingesetzt, dessen Mitglieder teils vom Reich, teils von den Landesregierungen bestimmt werden. Zur Beratung und Kontrolle kultureller Programmanteile stellen die Landesregierungen einen Programmbeirat (ausführlicher z. B. Heitger, 2003).

Die Überwachungsausschüsse üben faktisch eine Vor- und Nachzensur aus und treffen auch personelle Entscheidungen. Die Programmaufsicht der Kulturbeiräte ist etwas indirekter, im Zweifelsfall durch Einschaltung der Überwachungsausschüsse jedoch ebenfalls sehr effektiv. Dennoch sind diese Beiräte in gewisser Weise Vorläufer der nach dem 2. Weltkrieg eingeführten Rundfunkräte. Sie werden von den Landesregierungen bestellt, auf Empfehlung von Regierungspräsidenten und teilweise Stadtoberhäuptern, und sind meist führend in Kulturinstitutionen, in der Wissenschaft und in der Volksbildung tätig. Die Einflussmöglichkeiten der Beiräte auf das Programm sind im Einzelfall groß, und in einigen Fällen gibt es Doppelrollen als Beirat und Redakteur. Das Interesse der Beiräte an einer aktiven Mitgestaltung des Rundfunks scheint jedoch unterschiedlich groß gewesen zu sein (siehe Wittenbrink, 1997).

In den zwanziger Jahren wächst eine Reihe von Hörer-Organisationen in Deutschland heran. Einige von ihnen geben Periodika heraus. Die größte ist der Reichsverband Deutscher Rundfunkteilnehmer, der 1930 von Deutschnationalen und Stahlhelm gegründet wird und bald unter dem Einfluss der Nationalsozialisten gerät. Eine Stahlhelm-Rundfunkhörer-Vereinigung reagiert 1932 auf diese Tendenz. Ein Arbeiter-Radio-Klub wird bereits 1924 gegründet, 1928 in Arbeiter-Radio-Bund umbenannt, 1929 spaltet sich der kommunistische Freie Radio-Bund ab. Diese Verbände versuchen, über ihre Zeitschriften und über ihre politischen Vertreter im Reich und in den Ländern Einfluss auf die Programmgestaltung zu nehmen, bis hin zur Forderung eigener Sender.

Die staatlich bestimmten Leitungsstrukturen des Rundfunks in der Weimarer Republik sind mit zivilgesellschaftlichen Strömungen, Interessen- und Expertengruppen nur dürftig und zufällig vernetzt; so lässt sich die rundfunkgeschichtliche Forschung knapp zusammenfassen. Von den wesentlichen Orientierungsmerkmalen für die Organisation des Nachkriegsrundfunks – Föderalismus, Pluralität und Staatsferne – existiert bis zur Machtübernahme der NSDAP nur ein föderalistisches Grundgerüst, das allerdings schon den Finanzausgleich und einige andere später in der ARD verbreitete Organisations- und Kommunikationsformen kennt.

Rundfunkräte nach 1945

Die 1949 von der Britischen Militärregierung erlassene Verordnung Nr. 118 weist trotz klarer Differenzen auch deutliche Anschlüsse an die Rundfunkordnung der Weimarer Republik auf. Die gleich zu Beginn im Artikel 2 deklarierte Staatsunabhängigkeit ist sicher die wichtigste Konsequenz aus der in Deutschland erlebten Eingliederung des Rundfunks in eine staatliche Propagandamaschine. Die Satzung des NWDR sieht drei Organe vor: einen Hauptausschuss, einen Verwaltungsrat und einen Generaldirektor. Im Hauptausschuss sollen überaschenderweise die Ministerpräsidenten der am NWDR beteiligten Länder sitzen, ein Oberlandesgerichtspräsident, vier durch die Kultusminister benannten Vertreter des Bildungswesens, zwei Kirchenvertreter, ein Gewerkschafter, ein Journalist, ein Theaterintendant, der Präsident der Kölner Musikhochschule und der Präsident einer Industrie- und Handelskammer. Von Staatsunabhängigkeit kann bei einer Mehrheit von staatlichen Repräsentanten kaum die Rede sein. Der satzungsgemäße Vorsitzende ist der erwähnte Richter. Der Hauptausschuss wählt einen siebenköpfigen Verwaltungsrat, der die Geschäftsführung des Senders überwacht und vom Generaldirektor in allen wichtigen Angelegenheiten zu konsultieren ist.

Die Verordnung konstruiert ein Aufsichtssystem, dessen ansonsten unwichtigere Komponente, der von der Politik dominierte Hauptausschuss, den einflussreichen Verwaltungsrat installiert, der jederzeit informell von außen gelenkt werden kann.

Ähnlich ist das Aufsichtssystem des WDR gebaut, das im WDR-Gesetz von 1954 festgelegt wird. Ein relativ einflussloser Rundfunkrat, der nur viermal jährlich tagt, wählt einen mit starken Kompetenzen ausgestatteten, explizit nicht öffentlich tagenden Verwaltungsrat. Daneben existiert noch ein blasser „Programmbeirat“, der den Intendanten beraten soll. In diesem System, das erst 1985 durch ein neues WDR-Gesetz stark verändert wird, bildet der Verwaltungsrat die politischen Kräfteverhältnisse im Landtag ab, so dass die jeweilige Regierungspartei einen klaren Einfluss auf das Geschehen im Sender besitzt. Die Zusammensetzung des Verwaltungsrats im Jahr 1972 illustriert die damalige Staatsbindung des WDR:

… im Verwaltungsrat, dem höchsten Gremium des WDR, sitzen die mächtigsten Politiker des Landes: für die CDU Wilhelm Lenz, Präsident des Landtags; Abgeordneter Konrad Grundmann, Staatsminister und rheinischer CDU-Parteiführer a. D. und Heinrich Windelen, MdB und Vorsitzender der westfälischen CDU. Für die SPD: Heinz Kühn, Ministerpräsident; Johannes Rau, Wissenschaftsminister; Günter Hammer, Chefredakteur der Westfälischen Rundschau. Für die FDP: Willi Weyer, stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister. (Die Zeit Nr. 25, 1972)

Unter diesen Umständen erübrigen sich Fragen nach der Transparenz der Entscheidungsfindung und nach Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit. Rundfunk ist bis etwa 1980 eine Nebenstelle der Landespolitik. Besonders auf dem Feld der Personalpolitik werden mit großem Aufwand vielstöckige filigrane Gebäude errichtet. Es muss geradezu Wunder nehmen, dass unter diesen Umständen zumindest gelegentlich unabhängiger und kritischer Journalismus möglich ist.

Um beim Beispiel WDR zu bleiben: Das 1985 in Kraft tretende neue WDR-Gesetz verringert die unmittelbare Abhängigkeit des Senders von der Landespolitik erheblich und macht es für führende Politiker unattraktiv, sich in den Verwaltungsrat wählen zu lassen. Der Rundfunkrat wird in im Hinblick auf seine Vollmachten und durch seine binnenpluralistische Zusammensetzung aufgewertet. Der Verwaltungsrat behält einige wichtige Funktionen, muss jedoch dem Rundfunkrat die letztgültigen formellen Entscheidungen überlassen. Der einflusslose Programmbeirat wird abgeschafft, dafür ein entsprechender Ausschuss im Rundfunkrat eingerichtet.

Die Rundfunkräte sind weiterhin durchgängig politisiert, die Sitzungen und Beschlüsse werden in „Freundeskreisen“ vorbereitet, von denen es oft drei gibt: den schwarzen, den roten und den grauen (mit den parteipolitisch nicht festgelegten Mitgliedern). Politikwissenschaftler und Organisationssoziologen sind sich darin einig, dass die Transparenz von Entscheidungsprozessen durch informelle Gremien nicht erhöht wird – zum Beispiel fehlen Protokolle der informellen Beratungen (siehe Bröchler/Grunden, 2014). Die Effizienz der Arbeit eines großen Gremiums mit starkem internen Kompetenzgefälle kann durch diese informellen Vorbereitungsrunden und Absprachen jedoch durchaus gesteigert werden.

Die von 1985 bis Anfang 2016 gültige Konfiguration des WDR-Rundfunkrats erlebt die Vervielfältigung der Verbreitungwege, das Erstarken der kommerziellen Konkurrenz, den digitalen Medienwandel, das Aufkommen neuer Regulierungskonzepte für lineare und non-lineare Medien, die Umstellung von der gerätebezogenen auf die haushaltsbezogene Finanzierung sowie immer wieder Wellen des öffentlichen Unmuts über das öffentlich-rechtliche System überhaupt. Dieser betrifft die Art und die Qualität der Beiträge, den Wert des „Zwangsbeitrags“ und gelegentlich auch das Zustandekommen bzw. die Transparenz von Entscheidungen.

Exkurs: Kampfbegriff Transparenz

Der Begriff der Transparenz kommt seit Rousseau immer als ein Nichtvorhandensein zur Sprache. Dieses figuriert als beklagenswerter Verlust oder als Forderung. Transparenz ist im Reich des Wunsches angesiedelt, nicht im Reich der messbaren Fakten. Für Rousseau zerfällt die Menschheitsentwicklung in zwei Phasen: die der Natürlichkeit und Transparenz der Herzen und die der Naturferne und Intransparenz. Er bemerkt zum ursprünglichen Zustand: „Die menschliche Natur war im Grunde nicht besser. Aber die Menschen fanden ihre Sicherheit darin, dass sie einander leicht durchschauten.“ (Rousseau, 1978, p. 28) Das von Rousseau beobachtete Auseinanderfallen von Sein und Schein, das er als Glücksverlust beklagt, lässt ihn dazu aufrufen, zur Transparenz zurückzukehren. Diese folgenreiche Aufforderung übersieht allerdings, dass ein unvermitteltes Durchschauen niemals möglich war. Immer waren und sind die Gedanken der anderen Menschen medial vermittelt. Die Medienlosigkeit der Transparenz ist eine Wahnvorstellung oder, freundlicher formuliert, ein Traum (Schneider, 2013).

Das phantastische, zeichen- und kommunikationslose Zusammenleben der Menschen des Naturzustands wandelt sich in eine durch Irrtümer und Täuschungen getrübte kommunikative Umwelt, die alle gesellschaftlichen Begegnungen der Wahrscheinlichkeit des Misslingens aussetzt.

Unmittelbare Schüler Jean-Jacques Rousseaus sind die Jakobiner der Französischen Revolution. Staat, Bürger und Parteien werden zur Offenheit und Aufrichtigkeit verpflichtet, und diese Verpflichtung nimmt bald die Form des Terrors an. Erst wenn den tugendlosen Vertretern der alten Ordnung die Masken von den Gesichtern gerissen worden sind, kann nach Ansicht der jakobinischen Eiferer das Reich der Gleichheit und Brüderlichkeit triumphieren. Alle Siegel werden gebrochen, alle Archive geöffnet, alle Sitzungen von Regierung und Parlament und Gerichten erfolgen öffentlich. Genau dadurch jedoch – so hebt Schneider (2013) hervor – wird die Spirale des Verdachts und der Verfolgung wahnhaft angetrieben: „gerade im Licht der Öffentlichkeit wurden die Schatten des Verdachts immer länger“ (p. 131). Die Überwachungsausschüsse werden gegründet, der Verdacht wird systematisiert und bürokratisiert, Zehntausende von Demaskierten enden auf den Blutgerüsten.

Die Beteiligung aller an allem sowie Offenheit bzw. „Herstellung“ von Öffentlichkeit sind Forderungen, die in den letzten zwei Jahrhunderten immer wieder in der politischen Sphäre und in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen vorgetragen werden. Auch wenn fast nirgendwo Strukturen mit direkter demokratischer Kontrolle ihre Überlegenheit gegenüber autokratischen oder repräsentativ-demokratischen Strukturen haben beweisen können, erringen Attacken gegen opake Entscheidungsprozesse und Organisationsformen immer wieder schnell Anhänger. Dies gilt auch unter den Bedingungen des Internet, das schnelle und potentiell transparente Deliberations- und Entscheidungsmechanismen verfügbar macht. Allerdings sind die Anwendungsfälle dieser Mechanismen keineswegs ermutigend. Plebiszitäre Strukturen werden eher gefördert als abgebaut, die Motivation zur aktiven Teilnahme an Deliberationsprozessen wird eher gedämpft, und mit geradezu bolschewistischer Chuzpe erklären kleine Minderheiten – beispielsweise im Umfeld der Wikipedia –, sie hätten einen „Konsens“ ihrer Community hergestellt. (Stellvertretend für viele kritische Analysen siehe Große, 2012 und Bertone, 2015).

Transparenz der Rundfunkarbeit

Das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem muss sich nicht erst seit dem Aufkommen der digitalen Medien mit Transparenzforderungen auseinandersetzen. Nur sind sie heute nicht so leicht und leichtfertig abzutun wie in der Vergangenheit. Anlässlich der Verabschiedung des BR-Fernsehdirektors Helmut Oeller widmet sich der damalige Programmdirektor des Deutschen Fernsehens Dietrich Schwarzkopf 1987 dem Transparenzproblem zunächst mit den Mitteln des Herrenwitzes:

Wir leben – leider – in einem Zeitalter, welches das Geheimnis nicht liebt und der exzessiven Transparenz zuneigt. Alles muss transparent sein, von den Gremiensitzungen bis zu den Damenblusen. Will man sicher sein, dass etwas veröffentlicht wird, so schreibe man es in einem vertraulichen Brief oder erwähne es in einer Schaltkonferenz der Chefredakteure. Will man etwas verbergen, so gibt man es in einer Pressekonferenz bekannt. Dann wird es nicht beachtet, weil hier ja Transparenz angeboten und nicht erzwungen wird.

Im folgenden Satz macht er jedoch deutlich, wie er damals seine Rolle innerhalb des journalistischen Kosmos sieht:

Herrschaft bedarf aber des Geheimnisses, und der Rundfunk ist ganz gewiss kein herrschaftsfreier Raum. (Schwarzkopf, 2006, p. 88)

Schwarzkopf hat vielleicht in den Nachkriegsjahren bei seiner Tätigkeit im Preußischen Geheimen Staatsarchiv und anschließend als Archivar beim Tagesspiegel einen Eindruck der Nähe von Geheimnis und Herrschaft erhalten. Jedenfalls verstehen sich Verleger, Herausgeber, Programmdirektoren und sicher auch noch Chefredakteure im Nachkriegsdeutschland mindestens im selben Maße als Teil der Führungselite wie als Journalisten, die einem gesellschaftlichen Auftrag und ihrem Publikum verpflichtet sind. Ein solches Selbstverständnis ist heute öffentlich kaum noch zu vertreten – obwohl es immer noch Übergänge zwischen den politischen und medialen Machtsektoren gibt (die Besetzung eines Intendantenpostens durch einen Regierungssprecher ist nicht das einzige Beispiel).

Es ist kein Zufall, dass Forderungen zur Offenlegung von Finanzentscheidungen und generell zur Offenlegung von Entscheidungsprozessen in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien in dem Augenblick massiver gestellt werden, in dem der Rundfunk durch das ab 1.1.2013 eingeführte neue Beitragssystem auf die öffentliche Agenda gerät. Kurzfristige Aufmerksamkeit erringt beispielsweise die Initiative eines Berliner Journalisten und Unternehmers, „Open ARD ZDF“, die Einsicht in das komplexe Datenmaterial der Sender verlangt, um es zu strukturieren und allgemein verständlich aufzubereiten. Das im Sommer 2012 verabschiedete Hamburger Transparenzgesetz, das die Verpflichtung zur Veröffentlichung vieler Behördenvorgänge und zusätzlich zur maschinellen Lesbarkeit der Daten enthält, hat in diesem Zusammenhang ein Beispiel gesetzt – sowohl für die Erfüllung von Transparenzforderungen wie auch für deren Grenzen. Die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk automatisch in den Geltungsbereich von Transparenz- und Informationsfreiheitsregelungen der Länder fällt, wird in mehreren Landtagen diskutiert (siehe Schnabel, 2014).

Die Rundfunkanstalten reagieren auf das Transparenzverlangen recht schnell durch Veröffentlichungen ausgewählter und speziell aufbereiteter Daten, geben über die gesetzlich vorgesehenen konsolidierten Finanzberichte hinaus jedoch keinen vollständigen öffentlichen Einblick in ihr Haushaltsgeschehen. Als besonders heikel erweisen sich die teilweise in Bieterwettbewerben erworbenen Sportrechte. Über diese werden von den Unternehmensleitungen nur vage Angaben gemacht. Auskünfte zu einzelnen Positionen wie z. B. den Honoraren von Ko-Kommentatoren und Moderatoren werden mit dem Verweis auf Geheimhaltungs-Vereinbarungen und den Wettbewerb gezielt verweigert (siehe Ürük, 2016).

Die Konferenz der Gremienvorsitzenden aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (GVK) verabschiedet im September 2013 „Mindeststandards für mehr Transparenz der Gremienarbeit“, die im wesentlichen die Inhalte der Websites betreffen. Informationen über die Aufgaben der Rundfunkräte, über Mitglieder, über Aufwandsentschädigungen und Kontaktdaten sind dort ebenso erwähnt wie die Veröffentlichung von Geschäftsordnungen, Tagesordnungen, Protokollen und Beschlüsse. Ferner wird die Diskussion über öffentliche Sitzungen angeregt, die von einigen Rundfunkräte dann auch praktiziert werden. Im Falle des WDR gibt es dazu seit Februar 2016 eine gesetzliche Verpflichtung, die bei Personalangelegenheiten, bei der Erörterung von Geschäftsgeheimnissen sowie in besonders begründeten Fällen durchbrochen werden darf. Viel Kritik erfährt allerdings die weiterhin geltende Nicht-Öffentlichkeit der Verwaltungsratssitzungen.

Grenzen der Transparenz

Die Transparenzwünsche gegenüber den Rundfunkunternehmen und Rundfunkräten bleiben aus vielen Gründen unerfüllt. Einige dieser Gründe sind:

  1. Der Umfang der Daten, deren Offenlegung gefordert wird, ist so groß, dass ihre vollständige Publikation kaum sinnvoll ist – und wiederum nur zu Vermutungen Anlass gäbe, sie seien nicht vollständig. Ohne eine systematische Bearbeitung und thematische Gewichtung können solche Daten keine sinnvolle Diskussionsgrundlage für die öffentliche Deliberation bilden. An einer solchen Aufarbeitung müssten sich auch die Rundfunkunternehmen selbst beteiligen – die dazu allerdings keinen Auftrag haben, sondern dies freiwillig zu tun hätten.
  2. Die Unternehmensleitungen der Rundfunkanstalten sind gesetzlich verpflichtet, den Rundfunk- und Verwaltungsräten – abgesehen von ohnehin auch veröffentlichten periodischen Berichten – sämtliche Auskünfte zu geben, die von diesen erfragt werden. Wonach Gremienmitglieder, die im Organisationsgefüge der Rundfunkunternehmen als Vertreter der Allgemeinheit agieren sollen, jedoch fragen und ob sie aus ihren Erkenntnissen öffentliche Angelegenheiten machen wollen, bleibt ihrer Kompetenz und ihren (mehrheitlichen) Ratschlüssen überlassen. Es bleibt daher genügend Raum für die Vermutung oder den Verdacht, dass die Aufsichtsgremien den Komfort des friedlichen Gewährenlassens einer Austragung von Konflikten mit den Unernehmensleitungen vorzögen.
  3. Nicht einmal die Mitarbeiter der Rundfunkanstalten haben gewöhnlich konkrete Kenntnisse über die Arbeit der Rundfunkräte, durchschnittliche Mediennutzer noch viel weniger. Viele Informationen sind zwar öffentlich zugänglich, aber nur schwer auffindbar, in Unterrubriken der Sender-Websites verborgen. Veröffentlicht werden dort Tagesordnungen und Protokolle der Rundfunkratssitzungen (nicht die der Verwaltungsräte oder von Ausschüssen) sowie Stellungnahmen und Presseerklärungen. Tagesordnungen und Protokolle weisen nicht-öffentliche Themen nicht immer aus, so dass die Arbeit der Räte nicht vollständig abgebildet wird. Die Darstellung unterschiedlicher Positionen und eventueller Kontroversen in den Sitzungen fehlt, so dass sich die Meinungsbildung in den Gremien nicht nachvollziehen lässt. Die von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen entsandten Rundfunkräte tragen potentiell auch sehr unterschiedliche Erfahrungen und Gesichtspunkte in die Diskussionen hinein – aber es lässt sich nicht beobachten, was sie aus diesen Diskussionen wieder hinaustragen. Über eine eventuelle regelmäßige Unterrichtung der entsendenden Organisationen durch die Rundfunkräte ist nichts bekannt, und nur selten geraten Stellungnahmen oder Analysen einzelner Rundfunkratsmitglieder in öffentliche Kanäle.
  4. Zwar gibt es beispielsweise beim WDR-Rundfunkrat das Angebot des direkten Gesprächs von Besuchern mit der Vorsitzenden im Anschluss an die Sitzungen, aber Angebote zur Aufnahme des Gesprächs mit einer Vertreterin oder einem Vertreter der eigenen Wahl sind nicht gegeben. Internet-gerechte Möglichkeiten zum Dialog mit den Rundfunkräten fehlen ebenso.

Die MDR-Intendantin Karola Wille (2016) verkündet für die ARD eine Transparenz- und Dialog-Offensive:

Wir müssen uns um noch mehr Transparenz bemühen. Wir haben in den letzten Jahren vor allem in finanziellen Fragen für Transparenz gesorgt. Aber wir können noch mehr tun, um darüber hinaus zu zeigen, was unsere journalistische Arbeit kennzeichnet. Souverän mit Kritik umgehen, eine Fehlerkultur entwickeln und den Dialog mit unseren Nutzern pflegen – diese Chancen bieten soziale Netzwerke, die eine neue Art von Teilhabe ermöglichen.

Die Aufsichtsgremien haben sicher noch nicht alle sinnvollen Möglichkeiten der Herstellung von Transparenz und des Dialogs ausgeschöpft, die hier angedeutet werden. Es fragt sich allerdings, jenseits der Transparenzdiskussion, an der sich letztlich nur ein kleiner Kreis medienpolitisch Engagierter beteiligt, wie groß das Interesse des Publikums an der Sichtbarkeit der Rundfunkgremien überhaupt ist. Rundfunkpolititische Themen finden generell weniger Interesse als andere Aspekte der Mediensphäre. Die traditionellen Massenmedien haben ihre gefühlte Relevanz gegenüber den digitalen Netz-Medien eingebüßt. Die Rolle von Radio und Fernsehen ist viel seltener als in früheren Jahrzehnten ein alltäglicher Gesprächsgegenstand oder gar ein Anlass zu Diskussionen und Konflikten im Publikum. Gelegentliche Highlights und Skandale (wie die Causa Böhmermann) und periodisch der Rundfunkbeitrag bilden die Ausnahmen. Auch der Medienjournalismus greift medienpolitische Themen seltener und weniger prominent auf als früher und beschränkt seine Arbeit auf Programmkritik (oft nur PR) und Personalia. Es gibt in Deutschland nur eine Handvoll umfassend kompetenter Medienjournalisten – wie es auch nur wenige Medienpolitiker und -politikerinnen gibt, die tatsächlich auf der Höhe der Zeit argumentieren und den Medienwandel in all seiner Komplexität angemessen berücksichtigen.

In der Transparenzdiskussion geht es letztlich um die Legitimität des öffentlich-rechtlichen Systems. Der Anspruch kleiner Initiativen wie der „Ständigen Publikumskonferenz“ und der „Initiative Publikumsrat“, eine Alternative oder Ergänzung zum bestehenden Aufsichtssystem aufbauen zu wollen, steht selbst auf schwachen Füßen, weil ihnen die Konstanz und eine belegbare Verankerung im Publikum fehlt.

Die – selbstverständlich auch kritische – Stützung der Arbeit der bestehenden Gremien scheint demgegenüber der sinnvollste Weg zu sein, um das System der öffentlich-rechtlichen Medien mit den zeitgemäßen Anforderungen an Corporate Governance und Effizienz zu harmonisieren.

Zitierte Literatur

  • Bertone, G. et al. (2015). LiquidFeedback in Large-scale Civic Contexts: Framing Multiple Styles of Online Participation. In Journal of Social Media for Organizations. Volume 2, Number 1.
    Bröchler, S./Grunden, T. (Eds). (2014). Informelle Politik. Konzepte, Akteure und Prozesse. Wiesbaden: Springer VS.
  • Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD (2013). Mindeststandards für mehr Transparenz der Gremienarbeit. [Download: http://www.ard.de/download/2016708/Mindeststandards_fuer_mehr_Transparenz_der_Gremienarbeit.pdf]
  • Große, G. et al. (2012). Der Erfolg von enquetebeteiligung.de. Begleitforschung zur Adhocracy-Plattform der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Friedrichshafen: Zeppelin-Universität. [Download: https://fold.liqd.net/files/2011/10/Der-Erfolg-von-enquetebeteiligung-V1.pdf]
  • Heitger, U. (2003). Vom Zeitzeichen zum politischen Führungsmittel. Entwicklungstendenzen und Strukturen der Nachrichtenprogramme des Rundfunks in der Weimarer Republik 1923–1932. Münster: Lit.
  • Keller, A. (2002). Das Kölner Funkhaus 1945–1960. Probleme und Kontroversen. Zur politischen Geschichte eines Massenmediums. Münster: Lit.
  • Kleinsteuber, H. (1999). Deutsch-amerikanische Wechselwirkungen in den Massenmedien. In Lorenz, S. & Machill, M. (Eds). Transatlantik. Transfer von Politik, Wissenschaft und Kultur. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. pp. 191-215.
  • Lilienthal, V. (Ed). (2009). Professionalisierung der Medienaufsicht. Neue Aufgaben für Rundfunkräte – Die Gremiendebatte in epd medien. Wiesbaden: VS Verlag.
  • Rousseau, J. J. (1978). Abhandlung über die Wissenschaften und die Künste. In: Werke in vier Bänden, I. München: Winkler.
  • Schnabel, C. (2014). Informationsfreiheit im NDR-Staatsvertrag regeln – Stellungnahme des HmbBfDI zum Antrag der Fraktion der PIRATEN (LT-Drs. 18/1288). [Download: https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/2300/umdruck-18-2320.pdf]
  • Schneider, M. (2013). Transparenztraum. Literatur, Politik, Medien und das Unmögliche. Berlin: Matthes & Seitz.
  • Schwarzkopf, D. (2006). Zwischen Anspruch und Akzeptanz. Der öffentliche Rundfunk im Wandel. Berlin: Lit Verlag, 2006.
  • Ürük, B. (2016). ARD: Netzers geheime Super-Honorare. Kress News 21.07.2016. [http://kress.de/mail/news/detail/beitrag/135475-ard-netzers-geheime-super-honorare.html]
  • Wille, K. (2016). Über manche Zahlen staune ich selbst. Ein Gespräch mit der ARD-Vorsitzenden Karola Wille. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 29. Juni 2016.
  • Wittenbrink, T. (1997). Beratungsgremien mit beschränktem Einfluss: die Kulturbeiräte. In Leonhard, J.-F. Programmgeschichte des Hörfunks in der Weimarer Republik, Bd. I. München: dtv, pp. 246–277.