Scheitern ist (leider) immer eine Option

23.12.2022 | Das Projekt zur Gründung eines Medieninnovationsfonds, der aus Anteilen des Rundfunkbeitrags gespeist werden könnte, kann und darf nicht als die Idee einer Branchenlobby abgetan werden. Um dieser Gefahr zu entgehen, bedarf es des gründlichen Nachdenkens über eine geeignete Strategie. Dabei könnte ein Rück- oder Seitenblick auf Initiativen nützlich sein, die Reformprozesse im Bereich der öffentlich-rechtlichen Medien in Gang setzen wollten.

In den letzten zehn Jahren gab es viele solcher Initiativen. Parteien – auffällig sind dabei vor allem die FDP und die AfD –, Institute und Beratergremien erzeugen einen ständigen Strom von Vorschlägen. Die meisten laufen auf eine Kürzung des Rundfunkbeitrags und die Reduktion des Auftrags auf einige Kernbestandteile hinaus. Diese Vorschläge erreichen selten eine breite Öffentlichkeit. Allerdings ist z. B. die Forderung nach Reduktion des Rundfunkbeitrags anhaltend populär. Eine (selbstverständlich) nicht veröffentlichte Studie des WDR ermittelte, dass ein Beitrag von 10 Euro die größte Akzeptanz fände. Den systemkritischen Initiativen steht eine ganze Reihe von Aufrufen und Wortmeldungen gegenüber, die sich dem Motto verschreiben: »Wenn es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gäbe, müsste man ihn – gerade jetzt – erfinden«. Diese sonntagsrednerische Position beschränkt sich auf die Unterstützung des öffentlich-rechtlichen Systems, wie es ist, und ist meist blind gegenüber den in der Umgebung stattfindenden und für das System selbst notwendigen Veränderungen. Politisch wird sie von Vertretern der SPD, Grünen, CDU/CSU, auch – meist mit einigen zusätzlich gesetzten Akzenten – von der Linken, von Gewerkschaften und Kulturverbänden getragen. Auch die Aufsichtsgremien der Anstalten neigen ihr zu – Wagenburg first, Kontrollaufgabe nebenrangig.

Wie kommt es zu dieser großen Deutschland-Koalition? Ihr einigendes Band ist zunächst das Bedrohungs-Narrativ: Die Demokratie erleidet Schaden, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk als marktunabhängige und staatsferne Instanz infrage gestellt wird. Dieses Narrativ bezieht sich im wesentlichen auf den politischen Journalismus, also nur einen kleinen Teil der Arbeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ihr Beitrag zur öffentlichen und privaten Meinungsbildung lässt sich jedoch nicht auf diesen journalistischen Kernbereich reduzieren. Auch die Produktionen auf anderen Feldern – Beratung, Kultur, Bildung sowie Unterhaltung einschließlich Sport – leisten Beiträge dazu. Übersehen werden darf jedoch nicht, dass die zunehmend rundfunkabstinenten Alterskohorten unter 50 sowie die Bevölkerungsanteile mit ausländischen und migrantischen Wurzeln (annähernd 25 Prozent) von den linearen öffentlich-rechtlichen Angeboten nicht oder kaum noch erreicht werden. Das Bedrohungs-Narrativ malt zudem ein Bild der Gefahren, die angeblich von den sogenannten sozialen Medien ausgehen, in denen eine Bevölkerungsmehrheit aktiv ist: Manipulation, Echokammern, gesellscbaftliche Spaltung. Für diese Bedrohungen gibt es allerdings von Medienpsychologen und Soziologen keine Bestätigungen. 

Es gibt einen dritten Typus von öffentlichen Erklärungen und Initiativen. Fünf kurz skizzierte Beispiele sollen zeigen, dass und warum sie ohne großes Echo geblieben sind und nichts bewirkt haben.

Grundversorgung 2.0. Teilprojekt des mit fast 100 Mio. Euro von der EU geförderten »Innovations-Inkubators« an der Leuphana-Universität Lüneburg 2012 bis 2015. Das Ziel war ein Beitrag zur Neudefinition des öffentlichen Auftrags unter Berücksichtigung des Medienwandels und des Generationenabrisses. Erforscht werden sollten die gewandelten Konstitutionsfaktoren von Öffentlichkeit, von Finanzierungs- und Organisationsformen, des Publikums- und Nutzerverhaltens. Darüber hinaus ging es um die experimentelle Entwicklung und Erprobung neuer Ansätze und Formate web-basierter medialer Grundversorgung. Letzteres gelang, eine Arbeitsgruppe gewann unter dem Namen Hyperbole 2015 einen Grimme-Online-Award in der Kategorie Kultur und Unterhaltung. Ein äußerst idealistisch argumentierendes, radikal auf eine basisdemokratische Entscheidungsfindung setzendes und über 20 Seiten langes Thesenpapier erzielte in den Medien, in Verbänden, bei den Sendeanstalten und bei Medienpolitikern absolut keine Resonanz. Es enthielt auch folgenden Passus: 

Die Idee eines Rundfunketats, um den sich verschiedene Anbieter von einzelnen, nach öffentlich-rechtlichen Kriterien förderungswürdigen Programmen bewerben können, – und auch die BBC, neben einer Grundfinanzierung, bewerben muss, – ist 1986 vom neoliberalen britischen Peacock-Ausschuss zur Finanzierung der BBC vorgeschlagen und dann von der Regulierungsbehörde Ofcom 2004 wieder aufgegriffen worden.
In Deutschland schlugen 2009 die beiden Ökonomen Hanno Beck und Andrea Beyer einen Rundfunkfonds vor. In ihn sollen die jetzigen Rundfunkabgaben aufgehen. Um ihn können sich, auf Ausschreibungen und initiativ, öffentlich-rechtliche wie private Sender bewerben. Der Fonds würde zum Wahrer des Grundversorgungsmandats. Die unabhängige Aufsicht würde einem Rundfunkrat obliegen, der wie bei den Sozialwahlen in den Sozialversicherungen von den Bürgern gewählt würde. Rundfunkrat, Fonds und grundgesetzlicher Rundfunkauftrag würden von den Anstalten entkoppelt. Das alles unter dem Mantra des Marktes: Wettbewerb fördert Effizienz und Qualität.

Mitte 2014 wurden im Projekt noch mehrere eher realpolitische Thesenpapiere verfasst und verschiedenen medienpolitischen Protagonisten zugespielt. Ergebnis war dann die Beteiligung an Podiumsgesprächen mit Medienpolitikern. Das angeblich vorhandene Verständnis und der Dank für die Anregungen führten allerdings zu keinen feststellbaren politischen Aktionen.

Publikumsrat. Die 2014 gegründete Initiative will Beitragszahler:innen stärker in die Programmgestaltung der öffentlich-rechtlichen Medien einbeziehen. Dazu stellte sie eine Reihe von sehr allgemein formulierten Forderungen auf: Umgestaltung der Aufsichtsgremien, mehr Transparenz der Gremien und der Medienpolitik inklusivere Programme und Medienangebote, unbegrenzte Verweildauern von Mediathek-Angeboten. Die in der Initiative vertretenen Medienwissenschaftler:innen haben offenbar keine Querverbindungen in der Medienbranche, in den Sendeanstalten und in der Medienpolitik. Auch deshalb haben die Vorschläge bis heute kein produktives Echo gefunden.

Zehn Thesen. Der 2017 im Tagesspiegel und bei Netzpolitik.org erschienene Aufruf, der von über 600 Personen unterschrieben wurde, spitzt ohne jede Radikalität letztlich das von den öffentlich-rechtlichen Medien verbreitete Selbstverständnis in eigenen Worten ein wenig zu: 

1. Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, müsste man ihn gerade jetzt erfinden. 2. Der Online-Auftrag muss weiter gefasst werden. 3. Mehr Transparenz ist Voraussetzung für mehr Beteiligung. 4. Erfolg ist mehr als Quote. 5. Sender müssen Plattform werden. 6. Lokale Berichterstattung muss – wo notwendig – ermöglicht werden. 7. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen mehr Europa wagen. 8. Der Auftrag bestimmt den Beitrag – nicht umgekehrt. 9. Klassische Angebote müssen überprüft werden. 10. Ein Verbreitungsweg neben dem Internet unter öffentlicher Kontrolle muss zukünftig erhalten bleiben.

Das Echo aus dem Publikum (Diskussionsrubriken im Internet) enthielt weitaus schärfere kritische Forderungen. Reaktionen von Intendanten haben in der öffentlichen Diskussion keine Rolle gespielt. Mehr als einen scheinheiligen Dank für die kritische Unterstützung und die »Bestätigung« des eigenen Reformkurses konnte diese weichgespülte Initiative auch nicht provozieren. Die Thesen konnten ohne weitere Befassung im Pressearchiv verschwinden.

Beyond Platforms. Ein Workshop von 40 Mitarbeitern und Sympathisanten des öffentlich-rechtlichen Systems, teilweise mit technischer Kompetenz, skizzierte im Sommer 2019 ein Gegenbild zu den vom damaligen Intendanten des Bayerischen Rundfunks Ulrich Wilhelm mehrfach vorgebrachten Vorschlag einer europäischen Plattform von Rundfunk- und Kulturinstitutionen. Statt einer Gründung von oben soll es um ein nutzerorientierte, offene und nicht von wirtschaftlichen Giganten kontrollierte Infrastruktur gehen. 

Nach einem weiteren ergebnislosen und ausstrahlungsarmen Treffen veröffentlicht die Initiative nun im Jahr 2022 auf ihrer umgestalteten Website ein idealtypisches Konstrukt einer durchaus kommerziellen, aber nicht durch einseitige Interessen und Machtansprüche kontrollierten Infrastruktur. Ihr zentraler Angelpunkt ist eine »Registry« genannte Instanz, über die Nutzer direkt oder indirekt (über »Broker«) auf Inhalte von Anbietern nach deren jeweiligen Regeln zugreifen können. Die Inhalte kommen aus Europa, die Nutzerdaten bleiben in Europa, ebenso die Einnahmen bei zahlungspflichtigen Inhalten oder Werbung. Das Modell wirkt sympathisch, die Initiative formuliert aber keine Idee dazu, auf welchen Wegen sie realisiert werden könnte, mit welchen Partnern und welchen Ressourcen. Insofern bleibt der Anspruch der »Stärkung pluralistischer Gesellschaften mit freiheitlich demokratischer Grundordnung und europäischer Kulturvielfalt« hohl und die Arbeit der Initiative, an dessen Gründung auch der heutige Intendant des Hessischen Rundfunks mitwirkte, intransparent.

Unsere Medien. Die jüngste Initiative zur Verbesserung des öffentlich-rechtlichen Systems (und nicht nur seines Rufs) reagiert Ende 2022 indirekt unter anderem auf das gutsfrauliche Finanzgebaren beim Rundfunk Berlin-Brandenburg. Explizit handelt es sich um den Aufruf zur Auseinandersetzung mit dem Entwurf der nächsten Novelle des Medienstaatsvertrags. Der knappe Text beginnt mit der Versicherung kritischer Solidarität gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien: »Im digitalen Zeitalter brauchen wir sie noch mehr denn je«. Die Leistung des Systems soll in einem breiten Dialog verhandelt und überprüft werden: »Dieser Dialog erfordert geeignete Prozesse und Plattformen und muss alle gesellschaftlichen Gruppen in ihrer Diversität adressieren«. Entwicklungsmöglichkeiten der Sender im digitalen Raum und eine bessere Abstimmung von ARD und ZDF sind die weiteren Punkte des Aufrufs. Mit diesen vagen Formulierungen soll eine Debatte über den Auftrag der gemeinschaftsfinanzierten Medien angestoßen werden. Unklar sind auch die Adressaten. Entscheidend für die Setzung von rechtlichen Rahmenbedingungen sind die medienpolitischen Instanzen in der Exekutive und Legislative der Länder. Aber im Appell steht auch: »Ich appelliere an Sender und politisch Verantwortliche, den dafür notwendigen Dialog jetzt in Gang zu setzen und zu verstetigen«. Wer soll mit wem unter welchen Bedingungen und auf welcher Plattform in Dialoge treten? Dazu sagt der Aufruf kein Wort. Im Grunde sorgen die verwaschenen Formulierungen des Appells schon selbst dafür, dass diese Adressaten sich wenig um ihn kümmern müssen. 

Neben diesen hier aufgeführten Initiativen gibt es viele weitere Stellungnahmen und Diskussionsaufrufe. Hier ist das Vorgehen von Tabea Rößner exemplarisch, die unermüdlich und mehrmals im Jahr auf Konferenzen und in Schriftform fordert, es müsse eine große Debatte über die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien geben. Dabei nennt sie jedoch weder die Programmpunkte einer solchen Debatte noch stellt sie ein konkretes Reformmodell vor, an dem sich diese Debatte abarbeiten könnte.

Auf der einen Seite verschleppt die verantwortliche Medienpolitik seit mehr als zehn Jahren die Anpassung des »Rundfunkauftrags«, die unter den Bedingungen der Digitalisierung und der mit ihr verbundenen fortlaufenden gesellschaftlichen Veränderungen dringend notwendig ist. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind nicht strategiefähig und reagieren auf jede Aufforderung zu Veränderungen mit einer wagenburgartigen Abwehr. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch keine ernstzunehmenden und erfolgversprechenden Initiativen, die eine Transformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu zeitgerecht operierenden digitalen Medien auf dem Programm haben. Aufrufe ohne klare Ziele und Ansprechpartner, wie Unsere Medien, gibt es allzu häufig, sei es von Gruppen oder von Einzelpersonen.

Einige Defizite und Fehler der vergangenen Initiativen lassen sich von vornherein vermeiden – ohne dass dies allein allerdings schon mehr Erfolg verspräche. 

  • Die Initiative für das Projekt eines Medieninnovationsfonds sollte sich nicht darauf beschränken, eigene Wünsche zu formulieren und Ziele anzudeuten. Da sie durchaus systemsprengende Forderungen stellt, sollte sie die erforderliche Positionierung aller am System Beteiligten mit berücksichtigen und formulieren. 
  • Die Kritik am bestehenden System muss sachlich und konkret, bei komplexen Problemen auch erklärend, vorgetragen werden. Die Kritik muss deutlich machen, dass ein verständnisvolles Kopfnicken und der Hinweis auf laufende Veränderungen (»wir haben schon verstanden«) als Antwort nicht ausreichen werden.
  • Die Kritik darf nicht auf halber Strecke stehen bleiben, sondern muss in Vorschlägen und Forderungen münden, also Maßnahmen und Strategien benennen. 
  • Die Ansprechpartner müssen direkt genannt und eben auch angesprochen werden, um eine Befassung mit den Vorschlägen zu bewirken und Reaktionen wahrscheinlich zu machen. Eine bloße Veröffentlichung – selbst wenn sie medial multipliziert wird – ist nicht ausreichend. Notwendig sind offenbar Mittelsleute von der Art der Lazarsfeldschen »Meinungsführer«, um der Initiative von vornherein einen anderen Status zu verleihen als den vielen anderen, die nicht den Sprung aus den Pressemappen in die Pressekonferenzen der Staatssekretäre und Intendanten geschafft haben. 

Ob das »Fenster der Möglichkeiten«, von dem der Aufruf Unsere Medien spricht, wirklich den Wind der Veränderungen hereinlässt, liegt im wesentlichen im Belieben der Medienpolitik. Die Führungsriegen der Sendeanstalten sind keine geeigneten Ansprechpartner für das Anliegen der Initiative für einen Medieninnovationsfonds. Sie haben das zu lösende Problem zu einem nicht geringen Problem zu verantworten und können ohnehin die Forderung nach der Einrichtung des Fonds nicht realisieren. Ein gewisses Verständnis für das Anliegen könnten die Aufsichtsgremien entwickeln, wenn es ihnen zur Kenntnis gebracht wird, aber mehr als eine virtuelle Unterstützung ist systembedingt von ihnen nicht zu erwarten. Die Landesmedienanstalten könnten eine neue Aufgabe wittern und daher interessiert an einer Diskussion über die Umsetzung des Vorschlags sein. Allerdings hängt alles fast ausschließlich von den Medienpolitikern der Länder ab.