01.12.2023 | Keynote auf einer Veranstaltung der DAfF zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien. Auch hier eingebunden und als PDF abrufbar, sowie als Youtube-Video:
Auf der langen Bank – Die Wende zu Qualität und Vielfalt lässt auf sich warten
Verehrte An- und Abwesende, ich gebe gerne zu, aus dem Titel meines kurzen Vortrags sprechen Ungeduld und Frustration. Durch das Buch, das hier vorgestellt und gleich anschließend diskutiert wird, ziehen sich diese Empfindungen ebenfalls. Ich werde versuchen, exemplarisch einige Elemente des Ungenügens an der Situation der öffentlich-rechtlichen Medien zu benennen.
Warum bedarf es einer Wende? Die Rundfunkmedien unterliegen derzeit auch ohne regulatorische Eingriffe einem grundlegenden Wandel, weil sie in der evolvierenden digitalen Medienwelt neue und immer weniger dominante Plätze zugewiesen bekommen. Wir erleben, dass die Produkte der Massenmedien mehr und mehr zu Komponenten von interaktiven Kommunikationsmedien werden. Die Rundfunkgesetze und der Medienstaatsvertrag reflektieren die dramatischen Umwälzungen der Medienwelt nicht ausreichend: den Einbruch der globalen Video- und Audioanbieter in alle nationalen Märkte, die extensive Nutzung auch wiederum global funktionierender Kommunikationsplattformen, die Vervielfachung und Mobilisierung der Nutzungsmöglichkeiten sowie die damit einhergehende Fragmentierung der Nutzungsformen von Medieninhalten.
Die medienpolitischen Akteure betreiben Reformen der kleinsten Schritte und somit der geringsten Zumutungen für die von ihnen beauftragten Medien. Ein strategischer Plan, der diese Reformen in ein weiter gespanntes Konzept der Transformation stellt, ist bislang nicht sichtbar geworden. Statt eines Bemühens um eine möglichst viele Stimmen und Perspektiven einbeziehende Debatte über die Gestaltung des Wandels vom Rundfunk der funktional differenzierten Industriegesellschaft zu einem Mediensystem der nächsten Gesellschaft wird immer nur wieder ein Thema traktiert – die Beitragsfinanzierung, speziell die Höhe des Beitrags.
Sehr merkwürdig ist dabei das aktuelle Verhalten etlicher Medienpolitiker und Ministerpräsidenten. In der laufenden Finanzierungsrunde erklären sie, dass sie einer abermaligen Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht zustimmen möchten. Sie wollen offenbar das von ihnen selbst geschaffene System nicht verstehen. Es lautet in Kurzform: Erst der Auftrag – dann der Beitrag. Die Landesregierungen und Landtage könnten den Rundfunkbeitrag schlagartig kürzen, wenn sie Auftragskomponenten aus den Gesetzen und Staatsverträgen herausnehmen oder präziser definieren würden. Beispielsweise könnten sie einige lineare Fernseh- und Hörfunkkanäle ersatzlos streichen und die Programm- und Finanzierungsanteile für Information, Bildung, Kultur, Unterhaltung und Sport quotieren – um nur zwei Faktoren zu nennen. Die Anstalten müssten ihren Finanzbedarf auf dieser neuen Basis errechnen und bei der KEF anmelden. Warum handelt die Medienpolitik nicht entsprechend? Und um es klar zu sagen: Die Quotierung von Programmanteilen oder die Ausfilterung einiger Radiowellen bedeutet noch lange nicht die Schwächung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und erst recht nicht der Demokratie in diesem Lande.
Die Beauftragung des Zukunftsrates durch die Rundfunkkommission der Länder, der in diesem Herbst Ergebnisse vorlegen sollte, was nun auf Anfang 2024 verschoben wurde, hat manche Hoffnungen geweckt. Wird es erstmalig einen strategischen Plan geben, der alle an der Existenz des öffentlich-rechtlichen Mediensystems interessierten oder von ihm betroffenen Parteien befriedigt? Die Medienpolitik, die Anstalten, ihre Mitarbeiter, ihre Aufsichtsgremien, die Produzenten von Medieninhalten und vor allem auch das beitragszahlende Publikum. Allerdings verläuft die Arbeit dieses Zukunftsrats so intransparent, dass Zweifel aufkommen, ob die Rundfunkkommission am Ende eine Neuordnung der öffentlich-rechtlichen Medienangebote und der sie tragenden institutionellen Strukturen formulieren wird, die auf der Höhe der Medienentwicklung ist.
Wenn ich nun einen Blick auf die Rundfunkanstalten werfe, so scheinen sie seit vielen Jahren Reformdruck ausschließlich dann zu spüren, wenn sie von der Medienpolitik zu Sparmaßnahmen aufgefordert werden, um den Rundfunkbeitrag nicht in eine Höhe wachsen zu lassen, die politische Unruhe erzeugen könnte. Forderungen seitens der Mitarbeiter, von Produzenten und von Initiativen der sogenannten Zivilgesellschaft werden von Medienpolitikern in den Landtagen und Landesregierungen kaum beachtet, und erst recht nicht von den öffentlich-rechtlichen Unternehmen, die es seit Jahren verstehen, berechtigte Anliegen an sich abtropfen zu lassen und gegebenenfalls öffentlich mit PR-Geflunker zu beantworten.
Es gibt allerdings eine Verhaltensweise, die leicht zu einer Zwickmühle auswachsen kann. Von Sympathisanten des öffentlich-rechtlichen Systems ist in Festreden und Aufrufen immer das Stereotyp zu hören: Es sei gerade jetzt wichtiger denn je. Kritik an diesem System und seinen Elementen halten sie zurück, weil sie wohl mit Angriffen auf die öffentlich-rechtlichen Medien nicht identifiziert werden wollen, die deren Bestand fundamental infrage stellen. Aber dadurch, dass sie das bestehende System in seiner Form und in seinen einzelnen Komponenten und Aspekten nicht kundig, radikal und umfassend kritisieren, verhindern sie Legitimationsbemühungen der Anstalten auf einem angemessenen Niveau. Es ist angesichts der zunehmenden Nachrichtenvermeidung doch beispielsweise wichtig, zu analysieren und festzustellen, dass und warum die Informationsqualität der Nachrichten und anderer aktueller Sendungen beklagenswert ist, und zwar inhaltlich wie auch formal. Statt ausschließlich stereotyp blutende Verletzte, Explosionen, klagende Frauen und weinende Kinder ins Bild zu rücken, lassen sich Kriege und Katastrophen auch anders darstellen. Schauen Sie einmal eine Woche die Tagesschau des SRF. Dort gibt es um 20 Uhr in 25 Minuten weniger, aber ausführlichere und informativere Beiträge zum Tagesgeschehen als bei der deutschen Namensschwester. Sie sind auch konstruktiver – im Sinne von Angeboten zur Konstruktion eigener Anschauuungen und Wertungen.
Immer wieder wird der verfassungsrechtliche Auftrag, der von den Öffentlich-Rechtlichen Produktionen verlangt, die sich nicht nach den Maßstäben des Marktes richten, regelrecht verhöhnt. Reichweite vor Qualität und Relevanz, das ist seit den 1990er Jahren die Ausrichtung der Programmplanung, und hier wäre endlich eine massive Notbremsung nötig. Wenn beispielsweise mitgeteilt wird, dass ein Format oder eine Serie funktioniert, dann bedeutet das in der Regel, dass unter Berücksichtigung der Platzierung im linearen Programmschema eine gute Quote erreicht wurde – und nicht, dass eine bemerkenswerte Welle an Kommunikation mit und unter bestimmten Zielgruppen angeregt wurde.
Bei der unausweichlichen Transformation des jetzigen Rundfunks zu einem Online-Medium spielen die Mediatheken eine bedeutende Rolle. Zumindest sollten sie die spielen. Im Oktober verkündeten die ARD- und ZDF-Leitungen, dass ein großer Schritt zur Vernetzung ihrer Mediatheken getan sei. Pressemeldungen sprachen sogar von einer Verschmelzung. Interessierte müssten jetzt nur noch in einem Portal suchen, um die Inhalte beider Systeme erreichen zu können. Ich habe die Probe aufs Exempel gemacht und Suchbegriffe in beiden Mediatheken eingegeben. Zum Beispiel: Chile. Bei der ARD 684 Ergebnisse, beim ZDF 319. Da habe ich nicht geprüft, ob die 319 alle in den 684 enthalten sind, sondern lieber zugespitzt auf: Chile Pinochet. Bei der ARD 12, beim ZDF 16 Ergebnisse, aber nur 7 der 12 sind auch über das ZDF erreichbar. Sie können solche Proben mit beliebigen Begriffen machen: Tempolimit, Torf, Herzschrittmacher, Methan, Oligarchen. Die Ergebnisse sind so eindeutig wie chaotisch. Es ist absolut nicht empfehlenswert, nur in einer Mediathek zu suchen, aber wird man mit vielen Dopplungen zugemüllt. Die Situation vor der partiellen Vernetzung war besser: Klare Trennung der Inhalte, zweimal suchen. Noch besser wäre allerdings eine einzige, komplett zusammengeführte Mediathek. Für eine solche könnten die einzelnen Anstalten beliebige Portale bauen und den Nutzern beliebige personalisierte – natürlich datenschutzkonforme und trackingfreie – Zugänge zur Verfügung stellen. Hier hat eindeutig die Medienkompetenz der Medienpolitik versagt, die nicht eindeutig die vollständige Zusammenführung der Mediatheken beauftragt hat. Dass dahinter eine große Menge ungelöster Probleme verborgen ist, nämlich die Vereinheitlichung von Metadatensystemen und vor allem ihre einheitliche Pflege auf einem hohen Qualitätsstandard, muss ich den technisch Versierten unter Ihnen nicht sagen. Die Systematisierung der Metadaten, die zur Produktion von Programm, zur Programminformation, für die Archivierung und für die Mediatheken benötigt werden, steht seit 25 Jahren auf der Agenda, und das Anfang 2021 liquidierte gemeinsame Institut für Rundfunktechnik IRT, das auf diesem Gebiet höchst kompetent war, kann nicht mehr helfen.
Dass die öffentlich-rechtlichen Plattformen in großen Teilen immer noch dialogfrei sind und die Kommunikation ihrer Nutzer auf fremde (US-amerikanische und chinesische) Einrichtungen auslagern, attackiere ich seit Jahren ohne jedes Echo. Ein Beispiel aus den letzten Tagen bringt es nochmal auf den Punkt: Ich sehe Böhmermanns Magazin Royale online in der ZDF-Mediathek. Am Ende der Folge, aber mitten in einem Interview mit Günter Wallraff, verweist Böhmermann auf den Youtube-Kanal des Magazins, in dem das Interview weitergeführt wird. Warum denn nicht in der Mediathek? Und warum dürfen Hunderte von Kommentaren, also Kommunikationselemente der Nutzer, nur auf Youtube stattfinden und nicht auf einer eigenen dialogfähigen Plattform?
Der neue Medienstaatsvertrag macht den ständigen Dialog mit dem Publikum generell zu einer verpflichtenden Aufgabe. WDR-Intendant Buhrow behauptete Ende Oktober: Früher hätten die Anstalten bei Kritik »vom Auftrag« her gedacht – was wohl heißen soll, Kritik sei mit starken Behauptungen über das eigene staatlich abgesegnete Tun abgeschmettert worden. Heute, sagt er, »treten wir in den Dialog«. Das kann wohl kaum jemand hier bestätigen, der nicht Mitglied in einem bestimmten Hamburger Club ist.
Ein für mich aus soziologischer Sicht wesentlicher Aspekt ist die Beeinflussung von Inhalten nicht nur durch Haltungen und Meinungen, sondern schon durch die Organisationsformen zum Beispiel der sie produzierenden Redaktionen. Der Beitrag von Sabine Rollberg in dem hier vorgestellten Buch liefert dazu sehr erhellende Ausführungen. Die Mode gewordenen sogenannten crossmedialen Newsrooms – ein Konzept, das aus der PR-Branche übernommen wurde –, erweisen sich aufgrund ihrer hierarchischen Strukturen als Vielfaltskiller und demgemäß als qualitätsmindernd. Die Rundfunkräte werden mit Erzählungen über den Tisch gezogen, dass die Redaktionen in den neuen großen Einheiten, die auch architektonisch glänzen, »schlagkräftiger« würden (so Tom Buhrow) – als ob einheitliche und auf häufigen Wiederholungen basierende Botschaften Kennzeichen journalistischer Qualität wären.
Man kann an diesen Beispielen ablesen, wie sehr die vielbeschworenen »Strukturen«, also Organisation und Management der Anstalten, qualitätsrelevant sind und damit auch entscheidend für den Public Value der Institutionen insgesamt.
Ein Wort noch zu den Aufsichtsgremien. Ihnen werden im Medienstaatsvertrag neue Aufgaben aufgebürdet. Das schon erwähnte Dialoggebot gilt auch für sie. Ein wichtiger Auftrag betrifft die eigenständige Entwicklung von Richtlinien zur Beurteilung von Qualität und Vielfalt des Programms und – so interpretiere ich es zumindest – der organisatorischen Struktur der Anstalten. Für diese Aufgaben fehlen den Gremien ausreichende Kompetenzen und finanzielle Mittel. Letztere könnten sie den Anstalten abfordern, aber ich habe den Eindruck, dass manche Gremienvorstände den Sendern nicht »zuviel« zumuten wollen und sich der stereotypen Behauptung anschließen, die Einrichtung von größeren Gremienbüros mit komplementären Kompetenzen in allen Sachfragen hätte ja dann Einschnitte ins Programm zur Folge.
Ich finde es beschämend, dass eine von der Allgemeinheit finanzierte Einrichtung, die sich laut Verfassungsauftrag auch an die Allgemeinheit richten soll, immer noch etwa 25% der in Deutschland lebenden Mediennutzer im wesentlichen ignoriert, nämlich diejenigen mit einem migrantischen Hintergrund, oder Ausländer. Auch die Inklusion und die Adressierung vielfältiger Gruppen-Identitäten misslingt. Kunstfiguren wie die schwarze lesbische Vorgesetzte in einem Krimi können dieses Defizit nicht verdecken – sie enthüllen es eher.
Nicht nur diese Ignoranz muss ein Ende haben, auch die Ignoranz gegenüber den berechtigten Forderungen derjenigen, die in- und außerhalb der Sender das Programm produzieren. Um die geht es ja in der gleich folgenden Diskussion. Eine Reform, die alle am System der öffentlich-rechtlichen Medien Beteiligten und die von ihnen Betroffenen zufriedenstellt, bleibt weiterhin eine Utopie. Ich behalte jedoch trotz wachsender Skepsis die Hoffnung, dass konkrete, sachkundige Kritik und umsichtige, die Komplexität der Sachverhalte berücksichtigende Vorschläge eines Tages doch ein Umsteuern von Medienpolitik, Unternehmensleitungen und Gremien bewirken.