Nischenthemen

Zur Berichterstattung über den Klimawandel in den Medien gibt es inzwischen eine erkleckliche Anzahl von Untersuchungen. Diba Shokri referiert in der FAS vom 15.12.2024 eine kommunikationswissenschaftliche Studie über die mediale Wahrnehmung des Klimawandels. Dabei kondensiert sie aus ihr diese Stichworte, mit denen die mediale Dürre erklärt wird:

FAS 15.12.2024
FAS 15.12.2024

Ein Seitenblick auf solche Studien zur öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Klimawandel könnte dabei helfen, die Vernachlässigung des Globalen Südens durch die Medien zu erklären. Die angebotenen Stichworte sind allerdings nicht überzeugend:

1. Aufmerksamkeitsspanne

Die Erwähnung der relativ kurzen Aufmerksamkeitsspanne speziell bei digitalen Medien schiebt die Verantwortung für die Nichtbefassung auf die Rezipienten. Wie wenig diese Erklärung zutrifft, zeigt der zweimalige Wahlsieg von Donald Trump. Die permanente Wiederholung bestimmter Botschaften hat vorhandene Einstellungen quasi wachgerüttelt und an der Wahlentscheidung mitgewirkt. Dieses Wirkungspotential wird auch bestimmten penetranten Werbekampagnen zugesprochen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Magic-Bullet-Theory (auch bekannt als Hypodermic Needle Theory) tatsächlich funktioniert. Die Aktion des schwerbewaffneten 28-Jährigen, der im Dezember 2016 im Pizzarestaurant Comet Ping Pong in Washington herumballerte, um das Märchen über den von Hillary Clinton geleiteten Kinderpornoring persönlich zu »untersuchen«, kann getrost als Ausnahme gebucht werden.

2. Journalistische Praxis

Natürlich, die Auswahlentscheidungen von Journalisten sind ein entscheidender Faktor für das Zustandekommen von Nachrichten. Allerdings: Wer ist für die Nichtberücksichtigung von Meldungen aus Ländern des Globalen Südens verantwortlich? Sind es einzelne Journalisten/Redakteure oder ist es die Führungsebene in journalistischen Institutionen, die mit Blick auf die Performance-Statistiken die Weltereignisse filtern lässt? Rüttelvideos von Erdbeben mit vielen Opfern erzeugen einmalig viele Klicks, sorgsame Berichte über langdauernde blutige Bürgerkriege und die Kontextualisierung ihrer Ursachen bleiben ungesehen und unerhört. Das trifft auch für die versuchte Thematisierung der zunehmenden Wasserknappheit, das Dauerthema Hunger und die Hinweise auf Krankheiten in vielen Regionen der Welt zu. Wenn solche Berichte überhaupt in den Nachrichtenstrom gelangen, ist schon ihre von Stereotypen durchtränkte Darstellungsweise eine Garantie dafür, dass ihre Wahrnehmung keine nachhaltigen Effekte hat. Die Videobilder der Nachrichtenmedien zeigen immer wieder bereits bekannte Muster und zertifizieren deren Normalität. Ob die klagende Frau mit Kind auf dem Arm vor einer zerstörten Behausung in Gaza, Äthiopien, Mali, Kolumbien oder Haiti steht und ob das Video von gestern stammt oder drei Jahre alt ist, wird von den wenigsten Zuschauern registriert.

Was bedeutet: »Themen« werden eher wiedergegeben als gesetzt? Als solches ist ein Erdbeben weder ein Ereignis noch ein Thema. Es wird erst zum Thema, wenn über es berichtet wird und die Berichte rezipiert werden, also ein Echo finden. Die Wahrnehmung und Bewertung eines Geschehens durch Menschen sind ausschlaggebend für seine »Karriere« in den Medien. Was in keinem Fall unterstellt werden kann, ist ein Persuasions-Effekt der Berichterstattung, wie krass auch immer die Lage (Klima, Hunger, Elend) dargestellt wird. Auch der Nachrichtenfaktor »Dramatik« wirkt nicht nachhaltig. Voraussetzung für die Aufnahme von Berichtsinhalten in die private und öffentliche Kommunikation ist immer auch das vorhandene Vorverständnis und die vorhandene Einstellung der jeweiligen Rezipienten. Dazu ein Zitat aus den Media Perspektiven von ARD und ZDF:

Loy, Reese und Spence (2022) fanden heraus, dass eine ›globale Identität‹, das heißt, sich als Teil einer Weltgemeinschaft zu definieren, dazu beiträgt, die Klimakrise als global relevantes Problem zu erkennen und sich für klimaschützendes Verhalten zu engagieren. Um eine solche globale Identität zu fördern, sollte die Medienberichterstattung über die Klimakrise laut der Studie von Kersten und Greitemeyer (2023) viele globale Informationen enthalten bzw. könnten Berichte über lokale Ereignisse in einem globalen Kontext betrachtet werden.

Der Vorschlag von Kersten und Greitemeyer ist insofern fragwürdig, als Menschen mit »globaler Identität« – in früheren Jahrzehnten wäre das vielleicht »kosmopolitische Gesinnung« genannt worden, sicher recht selten sind. Eher ist anzunehmen, dass die Nähe-These zutrifft. Sie besagt, dass Medienkonsumenten Berichte über ein Geschehen, dem sie sich räumlich oder kulturell zuordnen, als relevanter empfinden als andere.

Im kommunikationswissenschaftlichen Common Sense herrscht die Auffassung, dass (erwünschte) Verhaltensänderungen auf veränderten Einstellungen beruhen. Da das Verhalten oftmals durch emotionale Impulse gesteuert ist und nicht auf etablierten – und darüber hinaus möglicherweise auch noch bewussten – Einstellungen beruht, kann jedoch eher von der umgekehrten Reihenfolge ausgegangen werden. Wenn sich Menschen aufgrund emotionaler Impulse spontan auf eine bestimmte Weise verhalten, ergibt sich dadurch eine gewisse Vertrautheit mit der Wirkung des eigenen Verhaltens, das in eine (teilweise bewusste) Einstellung mündet. Diese Wirkungskette ist in der Werbepsychologie seit längerem bekannt.

3. Mangelnder Neuigkeitswert?

Eher stellt sich die Frage, warum Meldungen, in denen auf den Klimawandel angespielt wird (bei der Überschwemmung eines deutschen Gewässers zum Beispiel) die Rezipienten zwar berühren, aber bei ihnen nicht mit der Klima-Thematik verschaltet werden.

Es bestehen jedoch durchaus Chancen zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Berichten. Da es sich beim Klimawandel um ein kontroverses Problem handelt, hat jede zusätzliche Information das Potential zur Ergänzung oder Infragestellung des Vorwissens oder der vorhandenen Vorurteile. Bei den vielschichtigen Problemen in den Ländern des Globalen Südens gibt es ein solches Vorwissen allerdings in der Regel nicht. Fraglich ist daher, ob im Publikum grundsätzlich eine Aufnahmebereitschaft für Berichte aus den Weltregionen des Südens vorhanden ist. Das Unbekannte ist immer auch ein wenig unheimlich und erzeugt beim ersten Auftreten eher Resistenz als neugierige Offenheit. Nur durch geduldige Wiederholungen und Follow-ups können Beunruhigung und Abwehr in Akzeptanz transformiert werden. Wenn beispielsweise der Bürgerkrieg in der äthiopischen Provinz Tigray in der Tagesschau jahrelang nicht vorkommt, kann auch bei einer einmaligen Erwähnung keine Anschlusskommunikation in einer interessierten Öffentlichkeit erwartet werden. Ein Rezept zur effektvollen Darstellung von Problemen des Globalen Südens kann ich nicht geben. In jedem Fall jedoch lohnt es sich, die bekannten Wirkungsfaktoren Frequenz, Nähe, Tragweite, und Konflikt bei Ereignissen zu reflektieren, und das gerade auch in Kontextualisierungen.

4. Misinformation/Desinformation

Desinformation bei Klimathemen kann ein dämpfender Faktor für die Entgegennahme von Meldungen sein. Zu den Standards gehören nicht nur die einfache Leugnung des Klimawandels, sondern auch das »Herunterrechnen« der Notwendigkeit einer Reaktion – Deutschland ist nur für 1,8% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, daher seien nationale Klimaschutzanstrengungen irrelevant. Andererseits gibt es in seriösen medienwissenschaftlichen Untersuchungen keine Belege für Konversionswirkungen von Desinformation, ob es sich um Wahlentscheidungen handelt oder Einstellungen zum Weltgeschehen. Desinformation hat eine Bestätigungswirkung für jene, die bereits eine bestimmte Einstellung haben. Zudem ist vermutlich den meisten Rezipienten bewusst, dass es sich um ein kontroverses Thema handelt. Studien zur Social-Media-Kommunikation haben gezeigt, dass Anhänger rechtsextremer Positionen oder sogenannte Corona-Leugner sehr wohl auch die »Mainstream«-Nachrichten kennen. Umgekehrt meiden Medienkonsumenten, die sich hauptsächlich durch öffentlich-rechtliche Medien und Tageszeitungen informieren lassen und ihre Weltsicht durch das dort vertretene Spektrum an Berichten und Meinungen speisen, die Beschäftigung mit alternativen Quellen und abweichenden Positionen. Die Nutzer von Mainstream-Medien befinden sich in einer recht klar definierbaren, allerdings sehr großen Echokammer.

Eine Berichterstattung über den Globalen Süden, die außerhalb des medial Gewohnten angesiedelt ist, hat es aus diesem Grund noch schwerer, das deutschsprachige Publikum zu erreichen – selbst wenn sie tatsächlich einmal stattfindet.

5. Querliegen zu journalistischen Ressorts

Der Klimawandel ist ein Querschnitt-Thema, das von Fall zu Fall alle vorhandenen Ressorts betreffen kann. Traditionell organisierte Organe wie die FAZ demonstrieren nach wie vor, dass es möglich ist, Klimathemen – auch intern kontrovers – sowohl im politischen Teil, in der Wirtschaft, im Wissenschaftsteil und im Feuilleton zu behandeln. Das ist ohne weiteres auch für Probleme der Länder im Globalen Süden möglich. Solange Junk News wie ein langer und bebilderter Bericht über einen öffentlichen Auftritt des britischen Königspaars hohe Klickzahlen erzeugen, ist allerdings die Auswahlentscheidung bei fast allen Online-Medien vorgezeichnet. Beim Deutschlandfunk im Ressort »Kultur«:


Brüggemann, Michael; Pröschel, Louisa: Klimawandel in den Medien. Zwischen konstruktiver Debatte und Polarisierung. 05.03.2024. https://www.bpb.de/themen/klimawandel/dossier-klimawandel/546135/klimawandel-in-den-medien/.

ARD-Forschungsdienst: Einflüsse der medialen Berichterstattung auf die Wahrnehmung der Klimakrise. Media Perspektiven 13/2024.
Zitiert werden dort:
Loy, Laura; Reese, Gerhard; Spence, Alexa: Facing a common human fate: Relating global identity and climate change mitigation. In: Political Psychology 43, 3/2022, 563–581.
Kersten, Riccarda/ Tobias Greitemeyer: Global news global identity? The relationship between media consumption, perception of identity, and ethnocentrism. In: Journal of Applied Social Psychology 53, 1/2023,39–51.