Zu: Davis, Christopher Michael. 2019. Die „dienende“ Rundfunkfreiheit im Zeitalter der sozialen Vernetzung. Zum Erfordernis einer Neuordnung der Rundfunkverfassung am Beispiel der Sozialen Medien. Tübingen: Mohr Siebeck.
13.03.2020 |Auch erschienen in epd-medienNr. 11, 13.03.2020, S. 3–7.
ARD und ZDF müssen zu Foren im Netz werden / Von Hermann Rotermund
Unsere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägte Rundfunkordnung enthält den Auftrag an die gesetzlich beauftragten und alle anderen zugelassenen Rundfunkbetreiber, dienende Funktionen für die Allgemeinheit und die Demokratie zu übernehmen. Das übergreifende Ziel dabei ist die Gewährleistung einer freien Meinungsbildung. Der Prozess der politischen und kulturellen Kommunikation ist ohne Medien nicht vorstellbar. Allerdings sind die Medien des Jahres 2020 nicht mehr dieselben wie die in den 1980er und 1990er Jahren, in denen die meisten der noch heute maßgeblichen Urteile der Bundesverfassungsrichter ergangen sind.
In der weitgehend übereinstimmenden Interpretation von Verfassungsrechtlern hat der Rundfunk neben dem Informations- und dem Kulturauftrag vier Funktionen – die Forums-, Komplementär-, Integrations- und Vorbildfunktion.
Das Gutachten der Datenethik-Kommission und einer seiner Autoren, Rolf Schwartmann, wollen Suchmaschinen und Kommunikationsplattformen unter das Rundfunkrecht stellen und zur Einführung einer zweiten, staatlich kontrollierten Auflistung von Inhalten verpflichten. Der geforderte Pflichtalgorithmus ist ein Angriff auf die Staatsfreiheit der Medien und die Informationsfreiheit der Bürger.
21.11.2019 | Die Datenethik-Kommission der Bundesregierung hat in einem ausführlichen Gutachten 75 Empfehlungen formuliert und begründet. Darunter befinden sich drei Empfehlungen zur Regulierung von algorithmischen Systemen bei Medienintermediären. Ein Medienintermediär ist – so sagt der Entwurf des künftigen Medienstaatsvertrags (bislang Rundfunkstaatsvertrag) der Bundesländer – „jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“. Telemedien sind nach der Nomenklatur der Gesetzgeber inhaltebasierte Internet-Angebote, mit einer Sonderklasse, den „rundfunkähnlichen“ Telemedien (Audio und Video on demand). Medienintermediäre sind demnach zum Beispiel Facebook, Instagram, Twitter und TikTok, aber auch Google und der „Video-Sharing-Dienst“ Youtube. Die Tatsache, dass nur ein kleiner Teil (bei Facebook 2 bis 3 Prozent) der den Nutzern zugänglichen und von ihnen gewählten Inhalte journalistisch-redaktioneller Herkunft ist, spielt für die Regulierer dabei offenbar keine Rolle. Studien zeigen, dass sich ein zunehmender Teil der Bevölkerung über das Tagesgeschehen in sogenannten sozialen Medien informiert – ohne dabei allerdings zu differenzieren, ob die Information unmittelbar durch journalistisch-redaktionelle Anbieter auf diesen Plattformen erfolgt oder ein Nebenbei-Inhalt von privaten Kommunikationen ist.
[Eingesandt an den ZDF-Fernsehrat zur Berücksichtigung bei der Beratung über das geänderte Konzept. Weitere Stellungnahmen finden sich hier.]
21.10.2019 | Die Weiterentwicklung des ZDF-Telemedienangebots begrüße ich grundsätzlich. Das vorgelegte Konzept reagiert auf die im 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrag erweiterten Möglichkeiten für Online-Angebote, schöpft diese jedoch keineswegs aus. Die Medienumgebung für massenmediale Angebote (Presse und Rundfunk) hat sich seit den letzten Drei-Stufen-Tests vor zehn Jahren dramatisch verändert. Fernsehunternehmen stehen vor der Aufgabe, ihre Prioriäten im Hinblick auf ihre Angebotsstruktur, ihre Arbeitsweise und ihr Management grundlegend zu verändern. Der frühere SWR-Intendant Boudgoust gab hierzu im Januar 2019 einen prägnant formulierten Hinweis: „Wir werden in fünf bis zehn Jahren das lineare Programm primär als Schaufenster nur noch nutzen für das, was dann non-linear abgerufen wird.“ (Stuttgarter Zeitung, 01.02.2019) Die Transformation eines Fernsehunternehmens zu einer Internet-Plattform mit linearer Option setzt ein verändertes Selbstverständnis voraus. Dieses – zumindest eine Ahnung davon – habe ich im geänderten Telemedienkonzept gesucht und nicht gefunden.
Der Vortrag am Ende der CAIS-Fellowship weist vor allem darauf hin, wie weit der derzeitige Zustand bzw. die derzeit sichtbare strategische Planung von öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen davon entfernt ist, den Medienwandel zu verstehen und eine aktive Rolle in ihm zu spielen.
Im Vortrag wird eine wichtige strategische Orientierung der ARD aus dem Jahr 2007 wieder aufgegriffen, die kurz nach ihrer damaligen Veröffentlichung aus dem Internet verschwunden war. Sie hatte allerdings Spuren in Reaktionen bei Befürwortern und Gegnern hinterlassen. Eine Ahnung davon, wie vorausschauend das Strategiepapier war, gibt dieser Kommentar im SPIEGEL:
Auch wenn sich heutzutage niemand ernsthaft über die Grundversorgung der Bevölkerung mit Internetzugängen oder Handys sorgt, mühen sich ARD und ZDF nach Kräften den Begriff weiter zu biegen und zu dehnen, um künftig auch digitale Vertriebs- und Dienstleistungsformen einzuschließen.
Ein Bemühen darum, der Entwicklung ein wenig zuvorzukommen, ist heute bei den gemeinschaftsfinanzierten Unternehmen nicht mehr zu bemerken. Sie überlassen das bedeutende Feld des Datenmanagements kommerziellen Plattformen, bis hin zu der absurden Verweigerung von Nutzerkommunikation in den eigenen Apps, während sie um ARD- und ZDF-Inhalte herum in fremden Umgebungen (Instagram, Youtube) durchaus stattfindet.
Dieser Beitrag entstand aufgrund einer Anfrage der Media Perspektiven, deren Redaktion sich für den Themenbereich Medienwandel interessierte. Sie wollte eine Untersuchung der Veränderungen ökonomischer Strukturen und Antworten auf die Frage, welchen Einfluss die Digitalisierung und neue Anbieter auf die Disruption klassischer Medienmärkte haben. Diese Anforderungen erfüllt der Artikel nur zum Teil. Er ist keine empirische und auch keine medienökonomische Untersuchung, sondern behandelt die unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken der digitalen Medien und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Hinweise auf die im strategischen Management der Rundfunkunternehmen zu suchenden Defizite, die sich in der mangelnden Akzeptanz und Relevanz der öffentlich-rechtlichen digitalen Angebote niederschlagen, entsprechen nicht dem Stil der Beiträge in dieser ARD-nahen Zeitschrift, die deshalb auf die Publikation verzichtete.
[In unwesentlich gekürzter Form erschienen in der FAZ vom 08.05.2019]
30.05.2019 | Die zwölf deutschen Rundfunkanstalten werden von insgesamt 667 Frauen und Männern in Rundfunk- und Verwaltungsräten beaufsichtigt. Sie werden nicht gewählt, sondern von Verbänden und gesellschaftlichen Institutionen bzw. deren Vorständen entsandt. Die von ihnen repräsentierten unterschiedlichen Perspektiven und Lebenserfahrungen sollen sichern, dass das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster“ abbildet. So formuliert es das 2014 ergangene ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Regeln für die Staatsferne der Organisation des Rundfunks festgelegt hat.
In den aktuellen Debatten um die Bestimmungen des nächsten Rundfunk- oder Medienstaatsvertrags bleiben die Rundfunkgremien unauffällig. Auch im Hinblick auf Strukturveränderungen, Modernisierungen und Sparmaßnahmen stützen sie eher die Wagenburg von ARD und ZDF, als dass sie durch eigene Ideen Orientierungen zu setzen versuchen. Die Rolle des an den Interessen der Allgemeinheit orientierten Gegenpols zu den Intendanten füllen sie in ihrer öffentlichen Präsentation nicht aus.
24.01.2019 | Im März 2019 trete ich erneut eine Fellowship im Center for Advanced Internet Studies in Bochum an. Mein Forschungsthema in Kürze:
Transformation des Rundfunks
Das Projektziel ist die Bestandsaufnahme der aktuellen soziologischen, ökonomischen, juristischen und politischen Transformationskonzepte für den Rundfunk in Deutschland. Die Durchsetzung vernetzter Kommunikationsformen und ihre Integration der Massenmedien wird im Rundfunksektor meist nur im Register von Risiken (und Befürchtungen) abgehandelt. Durch Szenarienanalysen und Workshops mit Experten sollen die Chancen für Innovation und Transformation interdisziplinär ermittelt werden. Die Arbeitsergebnisse sollen für politische und unternehmerische Planungsprozesse zur Verfügung stehen. Mittel dazu sind neben der frühen Veröffentlichung aller Erkenntnisse die Vernetzung mit ähnlichen Projekten und die Planung weiterführender Veranstaltungen nach Projektende.